Seit Januar 2021 führen Polizeibeamte in Dortmund, im Rahmen eines Pilotprojektes des Landes Nordrhein-Westfalen, eine Elektroschockpistole (Taser) als Dienstwaffe mit sich. Wir haben dies zum Anlass genommen, um mit Polizeiwissenschaftler Prof. Thomas Feltes* unter anderem über die Risiken und die Sinnhaftigkeit dieser neuen Waffe zu sprechen.

Fanhilfe Dortmund : “Herr Prof. Feltes, die Polizei in Nordrhein-Westfalen testet derzeit im Rahmen eines Pilotversuches den Einsatz von sogenannten Tasern (polizeifachlich auch
Distanzelektroimpulsgeräte genannt). Diese Geräte verschießen Metallpfeile an
Drähten, über die der Beschossene mit kurzen Stromimpulsen bei sehr hoher
Spannung außer Gefecht gesetzt werden soll. Wie bewerten Sie den Einsatz dieser
neuen Geräte?”

Prof. Feltes: “Als erstes hätte ich mir gewünscht, dass man die Erfahrungen, die mit diesen
Geräten seit mehr als 20 Jahren vor allem in den USAS gemacht hat, systematisch
ausgewertet hätte. Dann hätte man auch die Risiken und Nebenwirkungen, die erheblich sein können, gekannt, und wäre nicht auf die plakativen Werbevideos der Hersteller hereingefallen. Zum anderen würde ich mir eine externe, unabhängige Begleitung und Auswertung dieses „Pilotversuches“ wünschen. Nur dann kann man etwaigen Ergebnissen wirklich trauen.”

Fanhilfe Dortmund: “Was erhofft sich der Gesetzgeber von einer möglichen flächendeckenden Einführung dieser neuen Waffe für die Beamten?”

Prof. Feltes: “Offensichtlich ist man der Auffassung, dass die deutsche Polizei mit dem bisherigen
Einsatzinstrumentarium nicht (mehr) auskommt. Ich bezweifle das. In den USA
wurde und wird der Taser eingesetzt, um den dort sehr häufigen Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei zu begrenzen. Dieses Problem haben wir hier schon deshalb nicht, weil die deutsche Bevölkerung nicht derart bewaffnet ist wie die amerikanische; dennoch wird auch hier das Argument, dass der Taser einen Schusswaffeneinsatz verhindert, immer wieder gebraucht. Wenn in der Pressemitteilung des Innenministeriums davon die Rede ist, dass man bewusst (mit Dortmund) eine Behörde ausgewählt hat, „die mit Fußball- und Claneinsätzen stark belastet ist“ und es dort „auch zu verschiedenen Situationen kommt, in denen der Taser getestet werden kann“, dann bin ich mehr als besorgt.
Ein Taser-Einsatz bei 
Fußballeinsätzen würde verheerende Folgen haben: Aufgrund der Menschenmassen käme es zu einer Panik, in der nicht mehr absehbar ist, was passiert und mit Sicherheit der am Boden liegende „Getaserte“ überrannt werden würde. Ein absolutes no-go für mich! Und was bei „Claneinsätze“ hier gemacht werden soll, erschließt sich mir nicht. Will man Taser bei Razzien in Shisha-Bars einsetzen?”

Fanhilfe Dortmund: “Ist das aus polizeiwissenschaftlicher Sicht sinnvoll?”

Prof. Feltes: “Der Taser ist ein Gerät, das hohe Gesundheitsrisiken birgt und zudem extrem schwierig einzusetzen ist. Ich durfte dies selbst bei einem Besuch der New Yorker Polizei Ende der 1990er Jahre erleben. Ein sich bewegendes „Ziel“ mit beiden Pfeilen zu treffen, ist sehr schwierig. Wenn die Zielperson dann noch (z.B. im Winter) dickere Kleidung trägt, funktioniert der Taser auch nicht. Vor allem aber ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei seinem Einsatz besonders zu beachten. Es darf m.E. ausschließlich benutzt werden, wenn eine unmittelbare Gefahr für das Leben eine/r Polizeibeamt*in oder einer anderen Person besteht. Solche Situationen kennen wir durchaus in Deutschland auch. So sind rund drei Viertel der von der Polizei bei Einsätzen getöteten Menschen psychisch gestört. Genau hier aber ist der Taser kontraproduktiv, weil das Zugehen mit dem Taser auf eine psychisch gestörte Person von dieser als Bedrohung empfunden wird und daher die Gefahr erhöht und nicht verringert.” 

Fanhilfe Dortmund: “Insbesondere für Risikogruppen, wie beispielsweise Schwangere oder Menschen mit kardiologischen Vorerkrankungen, können ja erhebliche Gesundheitsschädigungen bis hin zur Lebensgefahr entstehen. Wie können die Beamten denn wissen, ob ihr Gegenüber in einer konkreten Einsatzsituation eine solche Vorerkrankung hat?”

Prof. Feltes: “Sie können das natürlich nicht wissen, und daher ist diese Regelung in der Verordnung, dass Taser dann nicht eingesetzt werden sollen, schlichtweg Blödsinn und m.E. auch rechtlich nicht haltbar. Man kann den Eindruck bekommen, dass damit die mögliche Haftung für Schäden nach Taser-Einsatz vom Land auf den einzelnen Beamten verlagert werden soll, wenn dieser nicht erkannt hat, dass eine Vorerkrankung oder Schwangerschaft bestand.”

Fanhilfe Dortmund: “In anderen Ländern hat der Einsatz vergleichbarer Geräte zu zahlreichen Todesfällen geführt. In den USA sind im Zeitraum zwischen 2001 und 2017 beispielsweise über 700 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz dieser Taser bekannt. Wäre eine entsprechend hohe Zahl im Falle einer flächendeckenden Einführung auch in Deutschland zu befürchten?” 

Prof. Feltes: “Es sind tatsächlich wohl mehr als 1.000 Todesfälle in den USA, die auf Taser zurückzuführen sind. Eine Studie in den Niederlanden hat gezeigt, dass dort in 80 % der Fälle der Taser sogar gegen Unbewaffnete eingesetzt wurde und zeigt, dass diese Begründung für die Einführung des Taser nichts taugt. Auch der Missbrauch des Taser dort wurde belegt, wenn z.B. in fast der Hälfte der Fälle das Gerät direkt an den Körper gehalten wurde, und ein andauernder Stromschlag abgegeben wird. Dieser Modus dient einzig der Schmerzzufügung, um Widerstand zu brechen.” 

Fanhilfe Dortmud: “Kritiker sprechen davon, dass die Hemmschwelle zum Einsatz der Taser aufgrund der vermeintlichen nicht-tödlichen Wirkung gering ist und die Beamten daher künftig zu häufig auf das vermeintlich sichere Gerät als Mittel des polizeilichen Zwangs zurückgreifen könnten. Besteht die Gefahr, dass die Beamten durch die Verfügbarkeit der Taser weniger auf Deeskalation setzen?”

Prof. Feltes: “Diese Gefahr besteht sicherlich, zumal ich einen Rückgang der Bereitschaft zu kommunikativer Konfliktlösung bei der Polizei beobachte, und gleichzeitig einen Anstieg des „Jagdtriebs“: Man ist immer weniger bereit, sich in Krisensituationen z.B. mit psychisch gestörten Menschen oder mit Personen, mit denen man sich nicht verständigen kann (z.B. weil es sich um Flüchtlinge handelt) zurückzuziehen, wenn keine unmittelbare Lebensgefahr besteht. Man will dann die eigene Autorität unter allen Umständen durchsetzen. Und dafür ist ein Taser leider sehr gut geeignet.”   

Fanhilfe Dortmund: “Was sind aus Ihrer Sicht mögliche Alternativen zum Einsatz der Taser?”

Prof. Feltes: “Die Alternativen müssen immer auf die jeweils konkrete Situation angepasst werden, und genau dies befürchte ich, wird in Zukunft weniger gemacht. Man glaubt mit dem Taser eine „Allzweckwaffe“ in der Hand zu haben – und vergisst dabei die erheblichen Risiken und Nebenwirkungen. Wenn dann noch Einsätze mit Taser, die schwere Folgen für die Betroffenen haben, nicht objektiv und unabhängig aufgearbeitet werden (wovon wir leider aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahr ausgehen müssen), dann haben wir ein echtes Problem.” 

Fanhilfe Dortmund: “Zum Abschluss noch ein Blick in die Glaskugel: Müssen sich insbesondere Fußballfans aber auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Demonstrationen zukünftig daran gewöhnen Beamten gegenüberstehen, die mit Tasern bewaffnet sind? Wird sich der Taser also aus Ihrer Sicht sowohl im Polizeialltag als auch bei Einsätzen zu Großveranstaltungen langfristig durchsetzen?”

Prof. Feltes: “Dazu braucht man keine Glaskugel: Mir ist kein Fall bekannt, wo in den vergangenen 50 Jahren ein Einsatzmittel bei der Polizei wieder abgeschafft wurde. Im Gegenteil: Die Anwendung von Pfefferspray beispielsweise wird immer „großzügiger“, die versprühten Mengen werden ebenso wie die Kartuschen immer größer. Der Taser wird also bleiben, und wir können nur hoffen, dass wir endlich unabhängige Beschwerdestellen bekommen, die dann Fälle, in denen der Taser eingesetzt wurde, objektiv untersuchen.”

Fanhilfe Dortmund: “Vielen Dank für das Gespräch!”

 


*Professor Dr. iur. Thomas Feltes M.A. ist emeritierter Professor für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum sowie Strafverteidiger.